Bei der Vorstellung des sogenannten Lübecker Konzepts der naturnahen Waldnutzung, welches seit vielen Jahrzehnten ökologisch und ökonomisch erfolgreich in Lübeck und inzwischen auch in anderen Städten und Gemeinden praktiziert wird, gibt es im Anschluss häufig zweifelnde Kommentare aus dem Publikum.
So geschehen auch beim Vortrag von Dr. Lutz Fähser am DAI Heidelberg im November 2023.
Dr. Lutz Fähser gilt als Begründer des Lübecker Konzepts. Er hat das Modell im letzten Jahr auch schon bei einem sehr gut besuchten Vortrag in Nußloch vorgestellt.
Eingriff minimal, Ertrag maximal
Die wissenschaftlichen Fakten überzeugen: Das Lübecker Konzept ist anderen bekannten Modellen sowohl ökologisch als auch ökonomisch überlegen und basiert auf dem „Minimum-Prinzip“.
Trotzdem ist vornehmlich aus Forstkreisen häufig zu hören, dass ein solches Modell bei uns nicht funktionieren kann. „Unser Wald ist doch ganz anders als der in Lübeck!“
Als differenzierende Merkmale dienen dann oft die Größe, die Bodenbeschaffenheit, die geographische Höhe, die Baumartenzusammensetzung und allerlei andere Aspekte.
Dabei sind die grundsätzlichen Prinzipien des Lübecker Konzepts sehr generisch und auf andere Wälder übertragbar, geht es doch im Wesentlichen um eine Anpassung an die Natur:
Richtlinien der Europäischen Kommission
Passend zum Thema hat die EU-Kommission im Juli 2023 die sogenannten „Guidelines on Closer-to-Nature Forest Management“ veröffentlicht.
Naturnahe Waldnutzung
In der Einführung zum Thema, warum es solche Richtlinien braucht, heißt es:
Wälder bieten unschätzbare Vorteile für die Menschen und den Planeten. Sie beherbergen die größte Anzahl
European Commission, Directorate-General for Environment, Guidelines on closer-to-nature forest management, Publications Office of the European Union, 2023, https://data.europa.eu/doi/10.2779/731018
lebender Arten an Land, und sie sind wichtig für die Klimaregulierung, die Wasserregulierung, die Stabilisierung des Bodens und für die Reinigung von Luft und Wasser. Sie sind ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den Klimawandel, da sie kühlend wirken und bei der Photosynthese Kohlenstoff binden. Sie bieten Kohlenstoffspeicherkapazität im Boden und in der Biomasse und auch in langlebigen
Holzprodukten. Darüber hinaus bieten die Wälder und der forstbasierte Sektor zahlreiche sozioökonomische
Funktionen und Vorteile, einschließlich Arbeitsplätzen und Entwicklungsmöglichkeiten in ländlichen Gebieten.
Die folgenden Vorgehensweisen werden im weiteren Verlauf als Werkzeuge für die Umsetzung genannt und anschließend auch im Detail beschrieben:
- Förderung von Naturverjüngung
- Sicherstellung respektvoller Erntebedingungen
- Minimierung von Eingriffen
- Erhaltung und Wiederherstellung von Waldböden und Wasserökosystemen
- Anreicherung des Totholzvorrats
- Stilllegung von Flächen
- Schutz spezifischer Arten
- Regulierung des Wildbestands
Wie kann eine Transformation hin zu diesem Konzept europaweit gelingen? Wie so oft und wie bei fast allen Veränderungsprozessen geht es um Sensibilisierung, Wissensaufbau und Wissensvermittlung, und auch die Kosten- bzw. Ertragsseite darf nicht vernachlässigt werden.
Am Beispiel aller klimatischen Regionen, welche in Europa vorkommen, wird anschließend deutlich gemacht, dass eine naturnahe Waldnutzung überall möglich ist – teilweise mit entsprechenden Adaptionen des Ansatzes.
Good Practice Beispiel „Lübecker Konzept“
Im Schlusskapitel des Dokuments werden schließlich drei positive Beispiele als sogenannte „good practice examples“ angeführt – eines davon ist das Lübecker Konzept, und hier schließt sich der Kreis.
Während die Europäische Kommission schon einen Schritt weiter zu sein scheint, hinken in Deutschland viele Gemeinden und Städte der Empfehlung und notwendigen Entwicklung hinterher.
Der Tagesspiegel hat in seiner Ausgabe vom 22.12.2023 das Thema aufgegriffen: „Deutschlands Vorzeigewald. Eingriff minimal, Ertrag maximal.“ ist der Artikel betitelt.
Er beschreibt, wie der Lübecker Stadtwald zum Good-Practice-Beispiel der Europäischen Union für naturnahe Bewirtschaftung wurde und wie der Ansatz auch auf andere Wälder übertragen werden könnte.
Immerhin richten sich in der Folge auch in Deutschland immer mehr Forstbetriebe nach dem Lübecker Konzept aus, so z.B. auch Berlin mit dem größten Stadtwald in Deutschland (ca. 28.000 ha) überhaupt.
Auch die Stadt Darmstadt hat im letzten Jahr die NABU-Waldmedaille verliehen bekommen, nachdem sie die Wälder aus der Bewirtschaftung genommen und die Prinzipien des Lübecker Konzepts adaptiert hatte.
Immer mehr Kommunen und Städte auch in unserer Region beschäftigen sich mit dem Lübecker Konzept – das gibt Anlass zur Hoffnung!
Quelle:
European Commission, Directorate-General for Environment, Guidelines on closer-to-nature forest management, Publications Office of the European Union, 2023, https://data.europa.eu/doi/10.2779/731018